Drachenloch von innen

Seit altersher sind unsere Berge von Sagen und Mythen umgeben, die von Generation zu Generation überliefert werden. Als Kinder haben sie uns in ihren Bann gezogen und manche von uns sind lange nicht mehr hinter dem Ofen hervorgekrochen.

Das Glöcklein auf der Alp Bätruns

Abends um sechs Uhr ertönt vom Kirchturm in Schänis ernst und schwer das Geläute der grossen Glocke. Vom heiligen Klang erweckt fängt auf der Alp Bätruns, die in einem Tälchen zwischen Chüemettler und Federi liegt, ein geheimnisvolles Wesen zu wirken an.

Ein Glöcklein, hell und sanft, erklingt irgendwo auf der Alp an unbekanntem Orte. Von dem süssen Ton des Glöckleins wird der Senne angelockt. Er horcht gespannt, er sucht und wankt hinzu nach der Stelle, wo der Klang herkommt. Doch plötzlich ist das Glöcklein weit entflohn und ertönt wieder von einer anderen Seite. Der Senne eilt ihm nach und verfolgt es. Er hält nicht ein, denn er will das Glöcklein sehen und kennen.

Das verfolgte Glöcklein greift zur Notwehr, denn es will in Zukunft sicher wandeln. Wohl soll man es belauschen können, doch will es nicht verfolgt und gesehen werden. Zur Strafe für seine Neugier fällt der freche Senne plötzlich erlahmt zur Erde. Seit diesem Tage an hat man das Glöcklein noch oft gehört, aber niemand wagte es, nach ihm zu suchen.

Der Dätsch

Vor Zeiten lebte am Steinenbach ein Mann, der einen gottvergessenen Lebenswandel führte. Nach seinem Tode konnte er darum keine Ruhe finden. Bei dunkler Nacht, zur Geisterstunde, kletterte er rastlos über Dach und Giebel seines Hauses. Das beängstigte die Hinterbliebenen sehr. Sie versuchten mit allerlei Mitteln, den unheimlichen Gast loszuwerden.

Einem frommen Gottesmanne gelang es, ihn in einen Korb zu bannen. Damit stieg er auf die Bätruns-Alp, um dem Armen dort eine Ruhestätte anzuweisen. An einem Bächlein, zwischen Gestein und Gestrüpp, vergrub er den Korb. Aber seine vollkommene Ruhe hat der Unselige auch dort oben nicht gefunden.

Wenn am Abend die Sonne untergegangen ist und sich dunkle Schatten über diesem einsamen Tälchen der Bätruns lagern, hört man deutlich sein Seufzen und Rufen tief aus dem Boden heraus. Aengstliche Leute hören dann ein „Dätsch, Dätsch“, wie wenn etwas geschlagen würde. Oft ertönt es ganz leise, oft stärker, sodass man es auf der ganzen Alp vernimmt.

Neugierige versuchten nach ihm zu graben. Sie wollten das Wesen des seltsamen Rufes erforschen. Es war vergebliche Mühe! Kaum hatten sie begonnen, ertönte der Ruf von einer ganz anderen Seite, wie um den neugierigen Sucher zu foppen.

Bis heute aber ist es noch keinem Menschen gelungen, den geheimnisvollen „Dätsch“ zu finden.

Das Drachenloch am Chüemettler

Die Dörfler- und Rufner-Buben kennen wohl die meisten das Drachenloch am Chüemettler.

Vor vielen tausend Jahren lebten in versteckten Höhlen unseres Landes böse, wilde Tiere, darunter auch Drachen. Sie kamen von Zeit zu Zeit aus ihren Höhlen heraus, um eine Geiss, ein weidendes Rind, oder ein fettes Stück Vieh anzufallen, zu töten und es als Nahrung in die Höhle zu schleppen. Ein solcher Drache mag auch in der heute noch bestehenden Höhle des Chüemettlers gehaust und die Umgebung unsicher gemacht haben.

Als dann später diese Tiere ausstarben, benutzten kleine Bergmännchen die Höhlen als Schlupfwinkel. Diese waren durch die südlichen Alpentäler über unsere Berge herein gewandert und kannten vor allem die Ausbeutung von wertvollen Mineralien, wie Gold, Silber usw. Man nannte sie Venetianermännchen.

In spätern Zeiten wurden grosse Waldbestände unterhalb des Chüemettlers gerodet. Aus dieser Zeit stammen verschiedene Flur- und Ortsnamen (zum Beispiel Rüttiberg) Die Bauern errichteten Unterkunftsstätten für sich und ihr Vieh., das sie auf die Weiden trieben. Den Sommer über lebten die Familien auf der Alp. Ein kleiner Sennenbub kam einst bei seinen Streifzügen durch Weide und Gestrüpp in die Nähe des Drachenloches. Auf einmal erblickte er kleine, zappelige Wesen. Wie er näher hinschaute, waren es kleine Männchen, welche in Taschentüchern etwas Glitzerndes aus der Höhle trugen. Abends erzählte der Bub seinen Angehörigen von diesem Erlebnis. „Pass auf, ob die Männchen einmal etwas verlieren!“, liess sich die Grossmutter dazu vernehmen. Tag für Tag fand sich der Bub auf seinem Posten ein und beobachtete die kleinen, vorbeihuschenden Gestalten. Wirklich, eines Tages verlor eines diesen etwas aus seinem Tuche. Sofort sprang der Bub hinzu und hob Fund auf. Als er jedoch das vermeintliche Gold in der hand betrachten wollte, waren es zu seiner Enttäuschung nur braune Körner.

Die Drachenhöhle ging einst tief in den Berg hinein. Eines Tages versuchte ein Senn, bis ans Ende der Höhle zu gelangen. Dort angekommen, hielt er überraschend den Atem an; denn er hörte deutlich das Bimmeln von Viehglocken. Schnell eilte er in seine Alphütte zurück, um die Neuigkeit den anderen Aelplern zu berichten. Auch diese kamen in die Höhle, horchten, vernahmen ebenfalls das Kuhgeschell. Da es fremde Glockentöne waren, kamen sie auf den Gedanken, dass es das Geschell der Viehherden auf der Rossalp sein könnte. Zur Kontrolle begaben sie sich in den nächsten Tagen über das Furggeli zu den Rossalpsennen und richtig: dort erkannten sie das Kuhgeschell, das sie schon in der Drachenhöhle vernommen hatten. Augenzeugen berichten, dass man dieses Phänomen noch im 19. Jahrhundert wahrnehmen konnte. Inzwischen ist die Höhle aber zusammengefallen und nur noch wenige Meter begehbar.

Das Federimannli

Von den Grasbändern der Federi erschallen an sonnigen Augusttagen frohe Jauchzer der Wildheuer.

Früher wurde dieses saftige Gras von einer Rindviehherde abgeweidet. Ein Senn hütete sie. Aber er war nicht immer gewissenhaft. Oft liess er das Vieh allein auf der Weide. Da brach einmal ein Hochgewitter über die Federi herein. Die Herde wurde von dunklen Regenwolken eingehüllt. Die armen Tiere wollten in den Stall zurückkehren. Aber auf dem nassen und steilen Boden rutschten sie immer wieder aus. Alle stürzten über die schroffen Felswände in die Tiefe.

Zur Strafe für seinen Leichtsinn muss der Senn „wandeln“. Wenn ein Unwetter herannaht, huscht er geisterhaft über die Felsen und lockt mit ergreifenden Wehrufen seine verlorene Herde.